Geisternetz 1X1 • Was sind Geisternetze?
Wir selbst haben das Thema Geisternetze mittlerweile seit 2017 auf dem Schirm. Aber eigentlich nur, weil wir durch Bracenet von diesem Problem erfahren haben. Vorher hatten wir nicht einmal den Begriff Geisternetz gehört.
Und vor einigen Wochen haben uns die Gründer von Bracenet, Madeleine und Benjamin, gefragt, ob wir sie mit nach Griechenland begleiten wollen, um zusammen bei einer Bergungsfahrt von der Organisation Ghost-Fishing Greece mit dabei zu sein und aus nächster Nähe zu sehen, wie die Geisternetze aus dem Meer geborgen werden! Natürlich haben wir da nicht nein gesagt! Hier findest du unser Video von den Tagen auf Youtube!
Da uns das Thema am Herzen liegt, wollen wir zusätzlich mit diesem Beitrag noch einmal übersichtlich eine Reihe an Hintergrundinfos zu dem Thema geben. Dinge, die wir gelernt haben und Antworten auf Fragen, die wir während der Zeit aus der Community erhalten haben, sowie Tipps, was man selbst tun kann, um den Problem vorzubeugen.
01. Was sind Geisternetze überhaupt?
Eigentlich ist der Begriff Geisternetz schnell erklärt: Geisternetze sind Fischernetze, die sich aus unterschiedlichsten Gründen vom Schiff und von Fischern losgerissen haben (mal unbeabsichtigt, mal beabsichtig). Sie landn im Meer treiben hier nun wortwörtlich wie Geister frei durch die Ozeane. Durch die Strömungen gehen passiv auf weitere Jagd: denn solange sie dort unten weiterschwimmen, verfangen sich Tiere darin. Zu der Beute zählt wirklich alles, was in die Quere kommt: Haie, Delphine, Wale, Schildkröten, Robben, Tauchvögel und mehr. Wenn sich sogar Wale darin verfangen, stellt sich schnell die Frage:
Wie groß sind die Netze?
Solltest du von den Themen Geisternetze und Fischfang so viel Ahnung haben, wie wir anfangs, wird es hier jetzt richtig verrückt. Zumindest ging es uns so, da wir absolut keine Vorstellung von den Ausmaßen und Dimensionen der Netze im industriellen Fischfang hatten. Am Ende ist zwar jedes herrenlose Netz im Meer, egal welcher Größe, ein Geisternetz und eine Gefahr. Diese Fischernetze können bis zu 100km lang sein. Einhundert Kilometer.
Für die Relation: Wenn du eine Stunde (!) mit 100kmh auf der Autobahn fährst, erst dann hast du das Netz von Anfang bis Ende abgefahren.
Das nur mal als grobe Vorstellung, wie groß solche Netze sein können! Natürlich landen nicht immer die ganzen Netze als Geisternetze im Meer, sondern teilweise reisen auch „nur“ einzelne Teile ab.
02. Wie gelangen Geisternetze ins Meer?
Ok, jetzt haben wir geklärt, was überhaupt Geisternetze sind. Aber wie kommen die Geisternetze überhaupt herrenlos ins Meer? Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und Szenarien. Von unglücklich, unüberlegt bis vorsätzlich ist alles dabei:
Schleppnetze • kratzen über den Grund
Schleppnetze sind gigantische Netze, die hinter dem Boot gergezogen werden. Da die Fischbestände in einigen Gegenden komplett überfischt sind und nur noch nah am Grund zu finden sind, wird auch direkt am Grund mit den Schleppnetzen gefischt. Hier passiert es schnell, dass Netze an Korallen, Felsen, Wracks oder anderen Hindernissen hängen bleiben und losreißen. Und nebenbei unten alles zerstören.
Stellnetze • reissen bei Sturm aus der Verankerung
Stellnetze sind Netze, die man fest im Meer befestigt und die man sich dann wortwörtlich wie eine Netzwand im Meer vorstellen kann, die senkrecht steht und auf diese Weise alles fischt und einfängt, was hineinschwimmt. Bei Sturm kann es passieren, dass die Stellnetze aus ihren Halterungen gerissen und von der Strömung weggetrieben werden.
Schiffsunglücke
Kommt es zu einem Schiffsunglück oder gerät ein Boot in Seenot, können Netze über Bord gehen.
Fischer • werfen Netze ins Meer
Natürlich kann man nicht sagen, dass jeder Fischer und jede Fischerei absichtlich die Netze ins Meer werfen aber die Anzahl der Geisternetze im Meer spricht dafür. Hier nur ein paar der möglichen Gründe, warum Fischer die Netze ins Meer werfen:
1. illegaler Fischfang: Vor allem im illegalen Fischfang passiert es häufig, das Netze über Bord geworfen werden oder beim Fang gekappt werden, wenn eine Mögliche Kontrolle vermutet wird.
2. kaputte Netze: Alte und kaputte Netze müssen von den Fischern kostenpflichtig entsorgt oder aufbereitet werden. Ist die Kasse knapp oder ein Fischer möchte die Kosten umgehen, werden die Netze über Bord geworfen. Aus dem Auge, aus dem Sinn.
3. Guter Fang: Außerdem gibt es immer wieder Fälle, in denen ein Fischerboot einen unerwartet guten und umfangreichen Fang gemacht hat und zu wenig Platz an Bord hat. Hier wird dann eventuell gegengerechnet: Wie teuer ist ein neues Netz? Was bringt der Fang für einen Gewinn? Am Ende landet eins von beidem wieder im Wasser.
03. Warum sind Geisternetze so schlimm?
So, die Geisternetze sind im Meer und treiben hier nun munter herum. Aber was macht die Geisternetze im Meer denn jetzt so richtig gefährlich für Tier und Mensch? Die beiden größten Risiken sind folgende:
Passive Jagd
Eine der größten Gefahren, die von den Geisternetzen ausgeht, ist der eigentliche Zweck der Netze selbst. Denn sie jagen in den Strömungen auch unter Wasser weiter und gehen eigenständig auf Fischfang. Dabei stellen sie eine Gefahr für Tiere aller Größen im Meer dar. Denn in den Netzen verfangen sich auch Wale, Delfine, Schildkröten, Haie, Rochen, … und sogar Seevögel, die unter Wasser jagen. Und wenn wir davon sprechen, dann reden wir nicht davon, dass das irgendwo in Asien passiert. Allein in der Ostsee gehen jedes Jahr bis zu 10.000 Netze und Netzteile verloren.
Mikroplastik
Früher waren viele der Netze noch aus natürlichen Materialen, heute sind die üblichen Netze aber leider aus Plastik. Zwar ist es ein nützlicher und robuster Rohstoff für den eigentlich Zweck des Netzes, aber es ist eben auch ein Rohstoff, der einmal produziert, nicht so schnell wieder verschwindet. Nämlich nie. Die damaligen Netze haben sich kurz- bis mittelfristig zersetzt, wenn sie im Meer gelandet sind. Heute dauert dies gerne mal um die 600 Jahre und endet in Mikroplastik-Partikeln. Einer der Gründe, warum die Geisternetze so ein großes Risiko für Tier und Mensch darstellen.
Mikroplastik sind winzig kleine Plastikpartikel, die durch den Plastikmüll (inkl. der Geisternetze) im Meer entstehen. Sie treiben durch die Meere, vermischen sich mit Algen und Bakterien und sind für viele Meerestiere nicht von ihrer natürlichen Nahrung zu filtern. Die Tiere nehmen das Plastik also mit ihrer Nahrung auf, was natürlich alles andere als prickelnd für sie ist. Aktuell sind knapp 50% des Mikroplastiks im Meer durch Geisternetze zustande gekommen.
Zudem schließt sich der Kreislauf am Ende wieder, wenn einige der Fische mit Mikroplastik im Magen schließlich auf den Tellern daheim landen und wir unseren eigenen Plastikmüll mit etwas Zitrone verfeinert genießen.
04. Wie werden Geisternetze geborgen?
Was geschieht nun mit den Geisternetzen im Meer, die schon im Meer sind? Die einzige Lösung ist es, die Netze wieder rauszuholen. Problem: Da die Netze meist tief im Meer liegen und sich irgendwann um Felsen, Schiffswracks, Korallen, etc. gewickelt haben, kann man nicht einfach hingegen und sie wieder rausziehen. Um die Netze zu bergen müssen erfahrene Taucher runtergehen und die Netze Stück für Stück lösen und an die Oberfläche bringen, gleichzeitig auch schauen, ob sich mittlerweile schon Leben darum gebildet hat, das man natürlich nicht zerstören sollte einfach so.
Es gibt verschiedene Organisationen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die Geisternetze zu bergen. Eine davon ist Ghost Fishing, die wir in Griechenland begleitet durften.
Kreislauf und Orga am Beispiel von Ghost Fishing
Zwar waren wir mit Ghost Fishing Greece auf dem Boot in Griechenland, aber zu der kompletten Organisation und Finanzierung der Bergung, sowie der späteren Weiterverarbeitung der Geisternetze gehören noch ein paar weitere Organisationen dazu, die wir dir hier einmal vorstellen wollen:
Healthy Seas
Hier beginnt der Kreislauf eigentlich. Healthy Sees ist eine Organisation, die sich auf verschiedenste Art und Weise für die Säuberung der Meere einsetzt. Sei es Plastikmüll, Geisternetze oder ander Dinge. Sie finanzieren sich durch Spenden und unterstützen mit den Geldern unter anderem wieder Organisationen vor Ort, die beispielsweise die Netze aus dem Meer bergen, wie Ghost Fishing.
Ghost Fishing
Ghost Fishing ist eine Organisation in den Niederlanden, die mittlerweile verschiedene Ableger weltweit hat und vor Ort mit ehrenamtlichen und erfahrenen Tauchern raus aufs Meer fährt, um die Geisternetze wieder aus dem Meer zu holen. In unserem Fall waren wir mit Ghost Fishing Greece unterwegs. Healthy Seas unterstützt sie dabei mit Spenden für die richtige Tauch-Ausrüstung, Miete von Booten, etc..
Nofir
Einmal aus dem Meer geholt, werden die Geisternetze gesammelt und ab einer gewissen Menge zu Nofir geschickt, die die Netze säubern, aufbereiten und soweit bearbeiten, dass sie für verschiedene Produkte wieder als Rohstoffe genutzt werden können. Sei es Granulat, Garn oder auch einfach nur sauberes Netz selbst.
Bracenet und andere Unternehmen
Und am Ende stehen dann Unternehmen wie Bracenet, die die gesäuberten Netze oder daraus gefertigten Rohstoffe abnehmen und neue Produkte aus ihnen formen. Dies können Armbänder, Kleidung, Socken, Teppiche und mehr sein. Von den generierten Umsätzen der Unternehmen geht dann wiederum ein Teil als Spende an Healthy Seas und der Kreislauf beginnt von vorn.
Woher wissen die Taucher, wo Netze sind?
Hier gibt es verschiedenste Möglichkeiten, wie die Taucher von den Geisternetzen unter Wasser erfahren.
Manchmal melden Fischer, wenn sie ein Netz in einer Region verloren haben, manchmal melden andere Taucher und Tauchschulen, wenn sie unter Wasser auf Netze stoßen. Aber auf Grund der Vielzahl der Geisternetze können sie in vielen Fällen fast sicher sein, dass sie auf Netze stoßen, wenn sie über das Echolot sehen, dass sich am Grund Erhöhungen oder Unebenheiten befinden. Das können Korallen, Felsen oder Schiffswracks sein und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat sich dort mal ein Netz losgerissen und verfangen…
Wie läuft die Bergung der Geisternetze ab?
Haben die Taucher ein Netz gefunden, machen sie einen ersten Tauchgang mit Kameras, schauen sich das Netz an, schauen wie es verwachsen ist, wo es festhängt, wie groß es ist, etc..
Mit den Aufnahmen wird ein Meeting gehalten und genau besprochen, wie die Bergung ablaufen wird, wer welche Aufgaben hat und ob direkt das ganze oder nur Teile vom Netzt geborgen werden. Im Grunde müssen sie unter Wasser wie SWAT-Team funktionieren und genau wissen, was sie tun, dass es jedes Mal ein Risiko ist und sie müssen sich verständigen können und wissen, was bestimmte Zeichen bedeuten. Reden ist eben schlecht unter Wasser…
Dann geht es beim nächsten Mal mit vollem Equipment runter und der Bergungsplan wird umgesetzt. Die Taucher lösen das Netz, schneiden es mit Messern an den besprochenen Stelle und befestigen es an so einer Art Ballons, die sie unter Wasser mit Sauerstoff auffüllen und das Netz so an die Oberfläche befördern.
Kann ich auch ein Taucher werden?
Jap! Theoretisch kannst du dich auch bei Ghost Fishing oder anderen Organisationen als Taucher bewerben. Allerdings reicht dafür kein Open Water oder Advanced Open Water, sondern du solltest ein erfahrener und gut ausgebildeter Taucher sein. Für genauere Infos gehst du aber am besten einmal auf die Seite von Ghost Fishing oder nimmst direkt Kontakt auf.
05. Wie kann ich helfen?
Interessiert oder bewegt dich das Thema und du fragst dich, wie du zur Lösung des Geisternetz-Problems beitragen kannst, sind hier drei Ideen, wie du ganz einfach dazu beitragen kannst, auch wenn du kein erfahrener Taucher bist und die Netze aus dem Meer holst:
Spenden
Spenden sind auf jeden Fall ein einfacher und effektiver Weg, die Organisationen und die Bergung der Geisternetze zu unterstützen. Denn wie oben erklärt, leben die Organisationen von Spenden, denn damit wird das Equipment finanziert, die Boote oder auch präventive Maßnahmen wie zum Beispiel Vorträge, etc.. Hier kommst du zur jeweiligen Spendenseite der Organisationen:
Weniger oder den richtigen Fisch essen
Am Ende landen die Netze ja nur auf Grund der gigantischen Nachfrage nach Fisch im Meer: Menschen lieben Fisch, also geht die Industrie auf die Jagd. Daher ist eine einfache Möglichkeit zu helfen, den Fischkonsum zu stoppen, einzuschränken oder darauf zu achten, den richtigen Fisch zu kaufen. Denn es gibt auch eine nachhaltige Art zu fischen! Bei nachhaltigem Fischfang wird daraug geachtet, die natürliche Umwelt zu schonen und Fischbestände nicht zu schädigen: Dass man nur in Zeiten fischt, wo keine Paarungszeit der Tiere sind, damit sie sich fortpflanzen können, etc.
Daher beim Kauf diese Art von Fischfang unterstützen. Hier gibt es ja den berühmten Spruch: „Dein Einkaufszettel ist dein Stimmzettel.“ Der trifft hier genauso zu. Da wir selbst so gut wie nie Fisch kaufen, können wir hier leider keinen Tipp geben, wie wir es machen, sondern nur zu den Quellen und Artikeln verlinken:
- WWF • Verantwortungsbewusst Fisch kaufen
- WWF • Einkaufsratgeber: Fische und Meeresfrüchte
- Naturland • Infos zu nachhaltigem Fischfang
Produkte aus Geisternetzen kaufen
Außerdem kannst du natürlich auch einfach Produkte kaufen, die aus Geisternetzen gefertigt wurden. Klar, jetzt nicht einfach nur, weil es aus dem Netz hergestellt ist, aber wenn du sowieso das eine oder andere benötigst, ist das ein nachhaltiger Weg!
- Bracenets auf der Seite GoodBuy* (hier erhalten wir etwas Provision 🙂 )
- Website von Bracenet
- Übersicht anderer Unternehmen & Produkte